Christian Reimann
Der englische Garten Garzau
Ein Beitrag zu seiner Interpretation 1
1. Einleitung
Etwa fünfunddreißig Kilometer östlich von Berlin
liegt in der Mark Brandenburg das Angerdorf Garzau. Die
verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges wurden hier erst
zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. durch einen Hofrat v.
Berger ausgeglichen, woran noch heute die Jahreszahl 1724 in der
Wetterfahne des Turmes der mittelalterlichen Feldsteinkirche
erinnert.
1779 erwarb Friedrich Wilhelm Carl Graf von Schmettau (1743-1806)
das Garzauer Gut und begann, in hügeliger Feld-, Wald- und
Seenlandschaft einen englischen Garten zu schaffen. Alsbald waren
Gewässer modifiziert, umfangreiche Pflanzungen vorgenommen, Wege
gezogen, Brücken, ein Badehaus, eine Urneninsel, eine Pyramide auf
einem Weinberg, Chinoiserien und andere Gartengebäude vollendet,
Skulpturen und Ruhebänke aufgestellt. Um 1784 waren die
Hauptarbeiten am Park getätigt, von dem Ende der 1780er Jahre als
kolorierte Kupferstiche ein Plan und neun Ansichten angefertigt
wurden 2.
Die Glanzzeit des Gartens ging vorüber, nachdem v.
Schmettau wegen finanzieller Schwierigkeiten 1802 sein Garzauer
Besitztum verkauft hatte. Kleinarchitekturen verfielen, und die
Vegetation verwilderte. Seen wurden entwässert, um Wiesenland zu
gewinnen. Das Herrenhaus v. Schmettaus hat man 1880 zugunsten eines
Neubaus abgerissen, der seinerseits dreißig Jahre später
niederbrannte. Das den Ort bis heute dominierende
neuklassizistische Schloss wurde 1911 eingeweiht (Abb. 2).
Leopold v. Reichenbach, Gutsbesitzer auf Steinbeck unweit von
Garzau, edierte 1790 zu Berlin Einige Bemerkungen über die
Gärten in der Mark Brandenburg3. Seine kleine
Schrift behandelt ausführlich einzig die Anlage v. Schmettaus, von
der uns keine weitere zeitgenössische Beschreibung bekannt ist. Im
Anschluss an die wissenschaftlich grundlegende Publikation W.
Hartkes zum Garzauer Garten 4 sollen im folgenden einige
Überlegungen zu dessen Sinngehalt vorgestellt werden.
2. Friedrich Wilhelm Carl Graf v. Schmettau und sein Park
2.1 Zur Persönlichkeit v. Schmettaus
Als Zwanzigjähriger avancierte v. Schmettau zum
militärischen Adjutanten des Prinzen Ferdinand von Preußen und nahm
auf Wunsch des Kronprinzen, des nachmaligen Friedrich Wilhelm II.,
die vielbeachtete Schmettausche Karte von Preußen in
Angriff. Er reifte zu einem in Mathematik, Physik, Geographie und
Militärwesen versierten Gelehrten und war in Berlin einer der
aufkläririschen Aristokraten.
Seine Offizierskarriere brach 1778 vorläufig ab, da er als
Brigademajor im Bayrischen Erbfolgekrieg von Friedrich II.
geschasst wurde. Nach der Suspendierung aus dem Heer legte sich v.
Schmettau außer dem Garzauer Anwesen die Güter Ragow und Merz bei
Frankfurt/ Oder zu. Sein Berliner Domizil war ein Stadtpalais am
Wilhelmsmarkt. 1783/84 unternahm er eine Bildungsreise nach
Frankreich und England.
Ein Jahr nach dem Ableben Friedrichs II. berief der neue
Preußenkönig den Grafen unter Beförderung zum Oberst zurück in den
Heeresdienst. 1789 lag in Berlin v. Schmettaus Buch Über den
Feldzug der Preußischen Armee in Böhmen im Jahre 1778 unter eigener
Anführung des Königs nebst einigen Bemerkungen über das Praktische
der Kriegskunst mit Kritik an der militärischen Kompetenz
Friedrichs II. vor. Um diese Zeit setzten sich bei Friedrich
Wilhelm II. Zweifel an der Rechtschaffenheit v. Schmettaus fest,
der deshalb 1790 die Armee verließ.
Durch Friedrich Wilhelm III. 1797 zum Generalmajor erhoben,
marschierte v. Schmettau 1806 mit den ostpreußischen Regimentern
nach Thüringen gegen die Franzosen ins Feld und erlag nach der
Schlacht bei Auerstedt am 18. Oktober desselben Jahres in Weimar
seinen schweren Verletzungen.
2.2 Im Park
2.2.1 Das Herrenhaus
Aus der Stadt Strausberg - sechs Kilometer
nordwestlich von Garzau - kommend, näherte sich v. Reichenbach dem
dreiflügeligen Wohnhaus v. Schmettaus: “Das Gebäude hat zwei
Geschosse, und die abwechselnd dunkelrothe und dunkelgelbe Farbe in
großen Abtheilungen vergrößert das Ansehen der Dauerhaftigkeit,
welches es wirklich hat."5
Ein kleines Vestibül empfing den Eintretenden mit Büsten von
"Griechischen Weltweisen"5. Sodann betrat man einen
Saal, der "sowohl von oben, als von unten her sein Licht"5 erhielt
und an dessen Eingang marmorne Figuren der Venus und des Endymion
standen. Seitlich des Saals gab es helle, große Räume, “die alle
Pracht eines Großen, mit der Feinheit des Künstlers, und mit der
Bequemlichkeit eines ländlichen Einwohners, in vollem
Maaße"6 vereinigten. Einer dieser Räume war zur
Bibliothek mit einer "Sammlung der besten Werke alter und neuer
Schriftsteller" hergerichtet und wurde geziert von "gut
gearbeiteten Bildnisse(n) zehn alter Weltweisen"6. Die
Gelehrsamkeit des Hausherrn bezeugten diverse wissenschaftliche
Instrumente7. Bequeme Gästezimmer im Obergeschoß
gewährten Ausblicke in den Park.
Aus dem erdgeschossigen Saal trat v. Reichenbach ins Freie und
überblickte zunächst eine Rasenfläche. Auf einem geraden Weg
entfernte er sich vom Haus und gelangte zu einer otahitischen
Partie an einem Fließ zwischen zwei Seen, dem Faulesee und dem
Kleinen Haussee.
2.2.2 Die otahitische Partie
"Ein finsterer Gang, den der Gesang der Vögel lebendig macht, führt zu einem finstern schattenreichen Platz, auf welchem ein Badehaus steht, mit der Aufschrift: Mari marharbe. Das geräumige Badehaus ist von außen ländlich mit Birkenborke bekleidet. Ein doppeltes Dach giebt demselben den Vorzug der Neuheit, und das helle Wasser dieses Bades ist anlockend und kühlend."8 Über der Tür des Gebäudes sind die Worte "MARI EWHARRE" erkennbar. Unterhalb der Abbildung ist zu lesen, man sehe “Bad und Haus wie auf Otahita nach Cook”. Eine architektonische Vorlage für das Garzauer Badehaus bot ein Stich u.d.T. Ansicht der Insel Huahine; mit dem Ewharra no Eatua oder Totenhaus... in Hawkesworth's dreibändiger Geschichte der Seereisen und Entdeckungen im Südmeer... (Berlin 1774)9.
Commerson huldigte 1769 dem exotischen Tahiti, es war ihm ein Reich
der Liebe und derart beschaffen, daß er es nach dem Idealstaat von
Morus mit dem Namen Utopia versah. Auf Tahiti würden Menschen ohne
Laster und Mangel leben, genährt von den Früchten eines Landes, das
fruchtbar sei, ohne bebaut zu werden, und regiert eher von
Familienvätern denn von Königen10. Cook segelte
1772-1775 das zweite Mal in die Südsee, wobei ihn der Naturforscher
Johann Reinhold Forster und dessen Sohn Georg begleiteten. Dem
Reisebericht des letzteren (A voyage round the world, 1777)
war sensationeller Erfolg beschieden. 1779 weilte Georg Forster
fünf Wochen in Berlin und erzählte Wißbegierigen immer wieder von
der Expedition. Vier Jahre zuvor hatten die beiden Forsters dem
Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau eine kleine
Sammlung ethnographischer, von ihrer Reise mitgebrachter
Gegenstände verehrt, für die auf dem Eisenhart der Wörlitzer
Anlagen eigens ein Pavillon errichtet wurde. Diese fremdländischen
Raritäten konnte sich v. Schmettau bei einem Wörlitzaufenthalt im
Juni 1783 anschauen.
Die Lebensart der Tahitier, so G. Forster, kennzeichnet eine
“glückliche Einförmigkeit. Mit Aufgang der Sonne stehen sie auf,
und eilen sogleich zu Bächen und Quellen, um sich zu waschen und zu
erfrischen. Alsdann arbeiten sie, oder gehen umher, bis die Hitze
des Tages sie nöthigt, in ihren Hütten, oder in dem Schatten der
Bäume, auszuruhen."11
Durch die Garzauer otahitische Partie vermochte v. Schmettau nicht
nur einen ersehnten, paradiesischen Lebenswandel zu aktualisieren.
Der jüngere Forster hielt die Verfassung der Tahitier und das
europäische Feudalsystem für vergleichbar. Das tahitische Volk
vermittelte ihm den Eindruck einer familiären Gemeinschaft, in der
die befehlshabenden Edlen als ältere Brüder angesehen wurden, denen
aufgrund des Erstgeburtsrechts der Vorzug gebührte12.
Bad und Borkenhaus in Garzau werden belesenen Gästen reibungsfreie
Feudalverhältnisse evoziert haben, an welchen v. Schmettau
zweifelsohne interessiert war.
Der Genfer Rousseau fügt im Diskurs Über den Ursprung der
Ungleichheit unter den Menschen (1755) zwischen Naturzustand
des Menschen und Zivilisation ein goldenes Zeitalter ein. Der
Naturmensch dieser Ära hätte sich mit ländlichen Hütten begnügt und
ein freies, gesundes und frohes Leben genossen. Je mehr man darüber
nachsinne, desto klarer werde einem, daß dieser Zustand am
wenigsten von Revolutionen bedroht und der beste für den Menschen
war. Das Beispiel der Wilden, die man fast ausnahmslos in dieser
Lage angetroffen habe, bestätige, “daß die Menschheit dazu
geschaffen war, für immer darin zu verharren, daß dieser Zustand
die wahrhafte Jugend der Welt ist und daß aller Fortschritt darüber
hinaus (...) ein Schritt zum Verfall der Gattung war."13
Kunst und Wissenschaft hätten den tugendhaften Menschen
verbildet.
Die Tahitier Forsters dagegen lebten gleichsam in der goldenen
Epoche vor dem Niedergang der Sitten und schienen die gute
menschliche Natur zu beweisen. Mit Rousseaus Anschauungen vertraut,
vermeldete Forster von den Tahitiern, deren “unverderbtes Herz
(sey) auch nicht eines Gedanken von Rachsucht oder Bitterkeit fähig
(...). Für ein empfindsames Gemüthe ist aber das warlich ein
tröstlicher Gedanke, daß Menschenliebe dem Menschen natürlich sey
und daß die wilden Begriffe von Mißtrauen, Bosheit und Rachsucht,
nur Folgen einer allmähligen Verderbniß der Sitten
sind."14
Der Garzauer otahitischen Partie15 folgten v. Hoffmanns
“Otaheitisches Bad"16 in Dieskau bei Halle, das "Cabinet
Otahitien"17 im Park Bellevue des Prinzen Ferdinand von
Preußen und das "ottaheidische Strohhaus"18 Karls v.
Hohenzollern-Hechingen in Oliva. Die Tahitischwärmerei schlug sich
auch im Pfaueninselschloß (1794-96; im Nordturm "Otaheitisches
Kabinett"18) Friedrich Wilhelms II. nieder, dem C.G.
Langhans 1788 ein otahitisches Angelhaus für den Charlottenburger
Park am Ufer der Spree entworfen hatte19. Nach dem Tode des Königs
1797 zog die Witwe Friederike Luise nach Freienwalde und träumte
sich in ihrem dortigen Schloßpark durch "Otahitisches" in die
Südsee20.
2.2.3 Die Urneninsel
Am Fließ entlang und nach Passieren einer geraden
Brücke spazierte v. Reichenbach zum Ufer des Kleinen Haussees.
Nachdem "man das hier bereit liegende kleine Schiff bestiegen hat,
rudert man sich selbst vermittelst eines in Rollen gehenden Taues
an das gegenseitige Ufer, indessen die Aussicht auf Feld, Garten
und eine Menge wohl vertheilten Wassers die Aufmerksamkeit rege
machen"21. Das Boot landete an einer nierenförmigen
Insel mit der Gedenkurne für die Mutter des Grafen (Abb. 4 und Abb.
5). Von deren Philanthropie kündete eine Inschrift der
Urne22. Beim Überqueren der genannten Brücke und
unmittelbar vor Erreichen der Fähre kreuzte v. Reichenbach eine
Sichtachse, die vom Wohnhaus zu einer Feldsteinpyramide auf einem
Hügel am jenseitigen Ufer des Kleinen Haussees verlief (Abb. 6).
Sicher gemahnte das Ablegen mit dem Boot - in Richtung Todessymbol
Pyramide - an den Charonsnachen und bedeutete den Aufbruch ins
Jenseits, Verlassen des Diesseits, welches durch das Wohnhaus
versinnbildlicht wurde23.
Auf der Insel versetzten Urne und Trauerweiden den Gast in eine
melancholische Stimmung. Nach Hirschfeld sollten Trauermonumente
den Betrachter durch die Erinnerung an fremde Verdienste mit Liebe
und Bewunderung erfüllen und zur Nacheiferung animieren. "Was
könnte (...) anständiger sein, als daß ein Gutsbesitzer, wenigstens
für seine Familie, in einem Theil seines Parks (...) einen
Begräbnisplatz anlegte, und ihn zur Unterhaltung sittlicher Gefühle
einrichtete? Mit inniger Rührung erblicke ich hier Rousseaus
Grab"24. Anläßlich seines Wörlitzaufenthaltes im Juni
1783 besichtigte v. Schmettau die Wörlitzer Rousseau-Insel (1782),
wahrscheinlich lernte er auf seiner Bildungsreise 1783/84 auch das
Original in Ermenonville kennen. Auf die Familie oder Freunde des
Parkschöpfers bezogene Monumente erscheinen Hirschfeld besonders
wirkungsvoll25, etwa in A. Popes Park zu Twickenham an
der Themse: Das dort der Mutter des Dichters gewidmete Denkmal
erwähnt Hirschfeld 178026.
Die Garzauer Insel hätten Standbilder römischer Cäsaren bereichern
können: "Vielleicht werden hier noch die Bildsäulen einiger anderen
guten Menschen aufgestellt, vielleicht die Bildnisse eines Titus,
eines Antonins, eines Aurelius, und dann wird diese Insel den
Nahmen Elisium haben.”27 Titus, der seit 79 herrschte,
war nach Sueton "die Liebe und Freude des menschlichen Geschlechts;
so überreich ausgestattet war er, sei es durch Natur oder durch
Kunst oder an Glück, zu Gewinnung der allgemeinen
Zuneigung"28. Der von Hadrianus adoptierte und 138 auf
den Thron gestiegene Antoninus erhielt den Beinamen Pius (der
Fromme). Seine Regierungsjahre waren geprägt von Bemühungen um
Wohlfahrt und Frieden. Ihm nach kam 161 der stoische
Philosophenkaiser Marcus Aurelius, der in Friedrichs II.
Regierungsformen und Herrscherpflichten (1777) das hehre
Vorbild für einen Fürsten abgibt, dem Rechtschaffenheit,
Pflichterfüllung, Uneigennützigkeit und Bewahrung guter Sitten
angelegen sind29.
Leopold von Reichenbach beschwört eine Idealgemeinschaft mit
hervorragenden Kaisern und der menschenliebenden Mutter des Grafen
v. Schmettau, der sich im Wohnhaus mit Büsten von maßgeblichen
Größen des Altertums umgab.
Die Urne ist heute im Park des barocken Köpenicker Schlosses zu
finden, das v. Schmettau 1804 von der Krone kaufte und bis 1806
bewohnte (Abb. 7). Das Denkmal für seine Mutter wollte der Graf
nicht missen.
2.2.4 Die Pyramide
L.v. Reichenbach verließ die Urneninsel und ging
den Hügel zur Pyramide hinan, in deren Keller v. Schmettau
beigesetzt zu werden wünschte (Abb. 8). Außen am Gebäude
ausgebildete Treppenläufe führten bis zur gekappten
Pyramidenspitze, die als Aussichtsplattform diente und verdacht
war. Bekrönt wurde der Bau von einem Eisengitter, worin an
Festtagen nächtens ein Feuer brannte. Von der Pyramide strahlten
Wege zu anderen Gartenpartien, und Sichtschneisen erlaubten
Fernblicke zu den umliegenden Dörfern und nach Strausberg (Abb.
9).
Das Portal des Bauwerks war dem herrschaftlichen Wohnhaus zugewandt
und trug die sentimentale Inschrift:
"Der Dankbarkeit ward dies Denkmal
errichtet
und zur Ruhestätte bestimmt.
Friedrich Wilhelm Graf von Schmettau, den 22ten April
1784. Dankbare Gefühle wiegen den
Menschenfreund in den sanftesten Schlummer des
Todes. Beim Anblick seiner Gruft ruft ihm
der Gefühlvolle zu: hier schläft der Dankbare."30
Hinter einem Vorraum barg ein kleiner (sog.) Saal,
der durch ein Opäum erhellt wurde, zwei Statuen als
Personifikationen der Liebe und der Dankbarkeit, ferner “die
Bildsäule des Grams, und (...) die Bildsäule der
Hoffnung.”31 Die gewölbte, farbenfreudig ausgemalte
Decke zeigte "Bilder der Eitelkeit, scherzende und lachende
Mädchen, Sinnbilder der vorbeirauschenden Freuden der
Erde."31 Das mittlere der drei unterirdischen Gewölbe
des Kenotaphs wurde als Eiskeller genutzt.
Das Garzauer Monument - Ausdruck des Egyptian Revival – läßt
Fischer v. Erlachs Kupferstich Das Grab-Mal des Egyptischen
Königs Myris oder Moeris... im Entwurff einer historischen
Architektur (1721) als entscheidende Inspirationsquelle für v.
Schmettau vermuten32 und hatte Vorläufer, die der Graf
1783/84 aufgesucht haben mag: Die Pyramide im Wald der Gräber des
Parks Monceau stammt aus den Jahren 1773-79, der pyramidale
Eiskeller mit äußeren Treppenläufen im Garten Désert de Retz von
1781. Vor seiner Westeuropareise hatte v. Schmettau in
Anhalt-Dessau Gelegenheit, das pyramidenförmige Wachhaus am
Gänsewall (1779/80) und die Eugenspyramide (um 1780) als
Blickpunkte des Dessauer Georgiums zu erleben33.
Vom Grafen wurde der Tod als Ruhe nach dankbar abgeschlossenem
Leben antizipiert und homerisch als Zwilling des Schlafes
begriffen. Auch die Urneninsel im Kleinen Haussee rief aus der
Antike herrührende Jenseitsvorstellungen hervor, und am Eingang zum
Saal des Herrenhauses klang das Thema des Todes an durch die
Figuren des ewig schlafenden Schäfers Endymion und der Venus, die
als altitalische Göttin der Gärten nicht nur mit der griechischen
Aphrodite identifiziert, sondern auch mit der römischen
Bestattungsgöttin Libitina verschmolzen worden war.
Die Erwartung seines Endes veranlaßte den antiken Menschen, das
irdische Leben intensiv zu genießen, da im Reich des Hades Ödnis
und Dunkelheit die Verstorbenen zu umfangen drohten. Nur wenigen,
glaubte man, wäre der Einzug ins Elysium vergönnt. In seiner
Untersuchung Wie die Alten den Tod gebildet (1769) kommt
G.E. Lessing auf Petrons Gastmahl des Trimalchio: Nachdem
ein Sklave ein silbernes Skelett "einige Male auf den Tisch hatte
fallen lassen, (...) sprach Trimalchio dazu:
'Ach wir armen Menschlein klein.
Alle werden so wir sein.
Nichts von uns bleibt als Gebein.
Drum laßt uns fröhlich sein.
Schenket ein.-' "34
Von der Machener Mausoleumspyramide (1792) ist die
Verwendung des gewölbten und mit Urnen dekorierten Innenraums als
Speisesaal des Grafen K.H.A. v. Lindenau dokumentiert: "In diesem
Tempel der Erinnerung seiner Entschlafenen pflegt der Graf mit
seiner Familie zu speisen. Hier feyert er seine Familienfeste.
Hier, wo alles um ihn her an den Tod erinnert, freut er sich mit
seinen Freunden, umringt von den Urnen seiner Väter. Hier ertönt
der Klang der Pokale im Gewölbe der Todten. - Hier, wo der Tod
winkt, lächelt das Leben."35
Hartke nimmt an, daß die Garzauer Pyramide als freimaurerisches
Symbol aufgefaßt werden konnte, wie es auf manchen maurerischen
Dokumenten zu sehen ist. Eine durch v. Reichenbach zitierte
Inschrift im Pyramidensaal zum Preis von Menschenliebe und
Wohltätigkeit weise auf die Sprache der Freimaurer und ähnlicher
Geheimgesellschaften hin36.
Maurerischer Sinngebung in englischen Gärten war das Publikum
aufgeschlossen, waren doch zahlreiche Sozietäten nach dem Muster
der Freimaurerlogen etabliert worden und nicht zuletzt durch
Verräterschriften maurerische Rituale, Symbole und Vorstellungen
allenthalben geläufig. Ob v. Schmettau Freimaurer war, ist eine
offene Frage. Gleichwohl wäre für eine freimaurerische Auslegung
der Pyramide ein Zeugnis regulärer Logenmitgliedschaft ihres
Bauherrn entbehrlich. Lessing hatte den Bruder in Ernst und
Falk sagen lassen, daß "Loge sich zur Freimäurerei verhält, wie
Kirche zum Glauben."37 Im Ersten Gespräch ist von Falk
zu hören: "Ich glaube ein Freimäurer zu sein; nicht so wohl, weil
ich von älterern Maurern in einer gesetzlichen Loge aufgenommen
worden: sondern weil ich einsehe und erkenne, was und warum die
Freimäurerei ist, wenn und wo sie gewesen, wie und wodurch sie
befördert oder gehindert wird."38 1784 betrachtete es
I.v. Born als Maurerpflicht, zur Ausübung tugendhafter Handlungen
aufzumuntern und Böses einzudämmen39. Durch die Betonung
der Menschenliebe in der Garzauer Pyramide könnte auf den Tempel
der Humanität hingedeutet worden sein, den die Freimaurer
anstreben.
Die vertikale Abfolge von Keller, Saal und Belvedere dürfte eine
"Rangordnung der Seinsebenen”40 veranschaulicht haben.
Über dem dunklen, vielleicht für die Unwissenheit stehenden Keller
wird der Saal als Spiegel des wechselvollen irdischen Lebens durch
das Opäum eine Vorahnung von der Erteilung des Lichts gegeben haben
- dem Höhepunkt nach Ersteigen der Pyramide.
Bei Freimaurern ist das Licht Zeichen der die Unwissenheit
verdrängenden Vernunft und Gottessymbol. Sie hoffen, im Tode das
gesuchte Licht zu finden. L.v. Reichenbach vergleicht das bei Nacht
die Pyramide zierende Feuer mit "einer glänzenden an die Wolken
befestigten Feuerkugel. Es ist bereits gesagt worden, daß dies
Gebäude zu einer künftigen Grabstätte bestimmt ist, und auch
deshalb eine Aussicht in entfernte Gegenden erhalten hat, um eine
lehrende Anspielung auf das Streben zum Unendlichen und
Unermeßlichen zu geben, welches jede Menschenseele in sich
fühlt."41 Die Freimaurerei bezeichnet das Leben als
Vorbereitung des Menschen zur Ewigkeit.
Um 1780 wucherten vielerorten Verfremdungen der Freimaurerei. Als
eine Antwort auf den Streit der verschiedenen Systeme fand 1782 bei
Hanau der Wilhelmsbader Freimaurerkonvent statt, von dem sich viele
Brüder eine Rückkehr zur einfachen Logenarbeit versprachen. Auf
eine lebensvolle Verwirklichung freimaurerischer Grundsätze waren
die in Wilhelmsbad "für ächte Freymaurer" abgefaßten Lebensregeln
ausgerichtet. Allerdings blieb dem Konvent ein tiefgreifender
Reformerfolg vorenthalten. Nur allmählich nahmen verwirrende
Gepflogenheiten in den Logen ab. Sonach konnte die Garzauer
Pyramide Geheimbündler und ihnen Nahestehende zur Besinnung auf den
genuin maurerischen Lebenswandel anhalten.
Sieht man von denkbaren, ausdrücklich freimaurerischen Intentionen
v. Schmettaus ab, dann kann das gesicherte Wissen um dessen
aufklärerische Haltung zum Verständnis der Pyramide beitragen. In
der populären, eudämonistischen Aufklärungsethik war die
Menschenliebe eine Kardinaltugend. Über sie und die Wohltätigkeit
gegenüber allen Menschen äußerte sich Gottsched, kosmopolitisch
denkend, religiös tolerant und ständische Schranken ignorierend, in
den Ersten Gründen der gesammten Weltweisheit
(1733/34)42. Gedichte Gellerts und v. Hagedorns galten
der Menschenfreundschaft, um deren Zunahme sich auch die Pädagogen
am Dessauer Philanthropinum (gegr. 1774) bemühten. Die
Philanthropisten einte die Ablehnung gewaltsamer
Gesellschaftsveränderung; durch Erziehung suchten sie den Bau einer
besseren Welt voranzutreiben.
Aufklärer, welche oftmals Freimaurer waren, vermeinten am Ende des
18. Jahrhunderts, in einem Zeitalter des Lichts zu leben. Die
Mitglieder des 1776 in Bayern inaugurierten radikalaufklärerischen
Bundes titulierten sich als Illuminaten. "Ist es nicht unsere
Bestimmung", fragt v. Born 1784 im Journal für Freymaurer,
"uns dem Laster, der Unwissenheit, der Thorheit entgegenzustellen
und Aufklärung zu verbreiten?"43
Zwischen 1783 und 1787 veröffentlichte die Berlinische
Monatsschrift etwa fünfzig Beiträge gegen den Aufschwung von
Aberglauben und Schwärmerei. 1781 – der aufklärerische Friedrich
II. regierte Preußen - hatten die Rosenkreuzer Wöllner und v.
Bischoffwerder den Kronprinzen Friedrich Wilhelm in ihren "zwischen
Pseudoreligiosität, Spiritismus und Kabbalistik changierende(n)
Orden"44 aufgenommen. Ein Jahr darauf kam zu Berlin das
Buch Die Pflichten der Gold- und Rosenkreuzer alten Systems
von Chrysophiron heraus. Wie Fontane schreibt, waren diese
Anschauungen nicht Blasen eines beliebigen Sektengeistes, sie
drohten in Edikten und Gesetzen bestimmend für unzählige
Andersdenkende zu werden und sind nach dem Tode Friedrichs II.
tatsächlich als Gesetze in Kraft getreten. Hinter dieser
Rosenkreuzerei hätten länger als zehn Jahre die mächtigsten Männer
Preußens gestanden: Friedrich Wilhelm II., v. Bischoffwerder und v.
Wöllner, der hinter dem Namen Chrysophiron
steckte45.
Skeptisch verfolgte Graf v. Schmettau das Geschehen um den
Kronprinzen. In seinem Testament von 1803 heißt es: "König
Friedrich Wilhelm II. war mit Einsichten, Kenntnissen und dem
besten Charakter ausgerüstet. Er hatte mir die Ehre angetan, mich
vom siebenjährigen Kriege 1763 an bis zu seiner Thronbesteigung
(...) mehr als Freund denn als Herr zu behandeln. Doch hatte er
stets die Achtung für mir, mich niemals in seine ausschweifende
Gesellschaft mitzunehmen, so daß ich beschwören kann, ich kannte
deren Mitglieder und seine abwechselnden Favoriten dieser Art nicht
einmal dem Namen nach. Bekanntlich wirkten dennoch von dem
Augenblick seiner Thronbesteigung an diese schlechten Leute
dermaßen unumschränkt auf ihn, daß sie während dieser kurzen Zeit
den Staat an den Rand des Unterganges brachten."46 Mitte
der 1770er Jahre berichtet der englische Staatsmann J. Harris von
den beträchtlichen Schulden des Kronprinzen, dessen
Mätressenwirtschaft und Umgang mit sittenlosen Offizieren. Mithin
vermißt er “in dem Prinzen die großen Anlagen (...), welche dem
Erben eines Reichs wie das preußische beschaffen ist, notwendig
wären, und es wird schwer halten, das Ganze zusammenzuhalten, wenn
die Mittel anderswo als in dem Fürsten gefunden werden
müssen."47
Graf v. Schmettau hielt in seinem Testament fest, er sei den
schlechten Leuten im Umfeld Friedrich Wilhelms II. ein
unausstehlicher Dorn im Auge gewesen48. Als Opfer einer
Intrige aus rosenkreuzerischem Lager zog er die Konsequenz, indem
er den 1787 begeistert wieder aufgenommenen Offiziersdienst 1790
quittierte. Dem König, der kartographische Arbeiten v. Schmettaus
erhalten und dafür 12.000 Taler gezahlt hatte, war im Auftrage v.
Bischoffwerders49 weisgemacht worden, der Graf hätte die
Karten nicht selbst verfertigt und wäre folglich als Betrüger in
den Genuß des Geldes gekommen, zudem sollte der Graf Karten
unrechtmäßig ins Ausland veräußert haben.
Den Krieg gegen die Aufklärer nahm sich v. Wöllner vor. Nach Erlaß
von Religions- und Zensuredikt wurde 1791 eine rosenkreuzerische
Kommission eingesetzt, der die Zensur der Monatsschriften oblag.
Die Restriktionen erzwangen den Druck der Berlinischen
Monatsschrift außerhalb Preußens.
Gewiss ist die Verschlechterung des Verhältnisses zwischen v.
Schmettau und dem König in dieses antiaufklärirische Klima
einzuordnen, als reaktionäre Kreise die Ursachen für die
Französische Revolution der Aufklärung beimaßen.
Wie besorgniserregend die Union von Okkultismus und Adel für
Aufklärer sein konnte, verdeutlichen Äußerungen J.W. v. Goethes im
Konnex mit dem Groß-Cophta (1791), seinem ersten
Revolutionsdrama, in dem Elemente der französischen
Halsbandgeschichte (1785) und des Auftretens von Cagliostro alias
G. Balsamo zu bemerken sind. Die obskuren Machenschaften des
Italieners und den französischen Hofskandal sah v. Goethe
zeitlebens als miteinander verstrickt an. Durch die Halsbandaffäre
fand er “die Würde der Majestät untergraben, schon im Voraus
vernichtet”50. 1781 bereits formulierte er in einem
Brief an Lavater seine Befürchtungen über die
gesellschaftszersetzenden Einflüsse von
Scharlatanerie51. Die Pyramide im Garzauer Garten
ermöglichte die Imagination einer vortrefflichen Feudalordnung im
Sinne v. Schmettaus. Um 1760 hatte der französische Kunstkenner und
Orientalist Caylus anhand des Landes der Pharaonen ein Paradigma
entwickelt für eine absolutistische, aufklärerische Regierung, die
v.a. den inneren und äußeren Frieden wahren, für das eigene Volk
sorgen und die Tugenden der untergebenen Bürger fördern
sollte52. 1784 schrieb v. Born, durch Hermes
Trismegistos wären in Ägypten die Wissenschaften und Künste
wiederhergestellt worden, jenem verdanke das Nilland "den Glanz und
Ruhm, welches es nachher behauptete. Täglich wuchs das Wohl des
Landes, das durch die weisesten Gesetze geleitet, durch Fürsten
regiert wurde, die alle zu einem Orden gehörten, dessen Grundregel
die Reinigkeit der Sitten und Wohltun war"53.
Die Garzauer Pyramide hat nicht ihren endgültigen Bestimmungszweck
erfüllt wie hingegen die Rheinsberger Pyramide (um 1800) des
Prinzen Heinrich (gest. 1802) oder der weinbepflanzte Branitzer
Tumulus (1854/56) v. Pücklers (gest. 1871). Das Grabmal v.
Schmettaus, für das v. Goethe einen - nicht umgesetzten - Entwurf
zeichnete, ist auf dem Weimarer Jakobsfriedhof. 1815 wurde das
Portal der Pyramide nach Strausberg gebracht und der Marienkirche
angefügt (Abb. 10). Das Kenotaph v. Schmettaus verkam zur Ruine
(Abb. 11).
2.2.5 Die Chinoiserien
Ein Pavillon über einer Grotte am Fließ zwischen Faulesee und Kleinem Haussee sowie ein pagodenartiger Kiosk am Rande einer begrünten Insel im Großen Haussee (Abb. 13) zählten zu den Chinoiserien im Garzauer Park, bei deren Planung v. Schmettau eigene Beobachtungen (vermutlich in Kew Gardens und anglochinoisen Gärten Frankreichs) zugute gekommen sein werden.
Musterbücher, z.B. Rural Architecture in the
Chinese Taste (1750) von W. und J. Halfpenny und Ornamental
Architecture in the Gothic, Chinese and Modern Taste (1758) von
C. Overs, hielten einen reichen Formenfundus bereit. Seit 1757
standen W. Chambers' Designs of Chinese Buildings, Furniture,
Dresses, Machines and Utensils zur Verfügung, 1763 brachte der
Engländer die Plans, Elevations, Sections, and Perspective Views
of the Gardens and Buildings at Kew in Surry auf den Markt.
Realisierte Chambers mit dem Haus des Konfuzius (1757) in Kew
Gardens eine Phantasiechinoiserie, so orientierte er sich beim
Entwurf der dortigen Pagode (1762) stark an der Porzellanpagode von
Nanking54. Auf dem Chinesischen Pavillon von Lunéville
basiert das Japanische/ Chinesische Teehaus (1754-1757) im
Rehgarten von Sanssouci, wo Friedrich II. auch das Drachenhaus
(1769/70) erbauen ließ.
An der vielseitigen intellektuellen Auseinandersetzung mit dem
Reich der Mitte beteiligten sich Montesquieu und Rousseau, der den
Chinesen verkommene Sitten nachsagte. Voltaire war vom
konfuzianischen Staatssystem eingenommen - wie schon Leibniz
(Novissima Sinica, 1697). Dessen Schüler Wolff hielt 1721 in
Halle die Oratio de Sinarum philosophica practica, worin er
die Sittlichkeit der alten chinesischen Kaiser und Konfuzius
rühmte. Weithin in Europa wurden China, Konfuzius und weise
Staatsführung zusammengedacht55. In dem fernöstlichen
Land geboten die Mandarine offenbar väterlich-verantwortungsvoll
über das Volk. Zu hohem Ansehen im Westen gelangte der
konfuzianische, für einen aufklärerischen Regenten mustergültige
Philosophenkaiser K'ang-hsi. Er war in der Verwaltung gegen
Korruption vorgegangen, hatte die Bevölkerungszahl durch
Verbesserung der Landwirtschaft steigen, Wissenschaften und Künste
gedeihen lassen. Aufgrund seines Toleranz-Edikts war 1692 den
300.000 in China lebenden Christen freie Religionsausübung möglich
geworden56.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beurteilten die
wirtschaftswissenschaftlichen Physiokraten, die ihren Lehrer
Quesnay als "Konfuzius Europas" apostrophierten, China als einen
glück- und friedvollen Staat auf Grundlage des Naturrechts. Quesnay
besprach 1767 die politischen und sozialen Prinzipien Chinas und
vertrat den aufklärerischen Anspruch, ein feudaler Staat habe das
Wohlergehen der Bürger zu bezwecken57. Daher beabsichtigte er in
Frankreich Wirtschaftsreformen, vornehmlich auf agrarischem
Sektor.
Neben Friedrichs II. z.T. auf englische Anregungen hin und gemäß
der preußischen Kameralistik durchgeführten Neuerungen in der
Landwirtschaft (Ansiedelung von Kolonisten im 1747-1753
trockengelegten Niederoderbruch, Melioration von Netze- und
Warthebruch nach dem Siebenjährigen Krieg, Verbesserung der
Dreifelderwirtschaft durch teilweise Nutzung der Brache, Erlässe
über Gemeinheitsteilungen und Separationen) konnten die Ideen des
"Konfuzius Europas", welche in den 1770er Jahren nach Deutschland
eindrangen, v. Schmettau bei seinen Reformen "von oben" leiten.
1783 separierte er Rittergut und Gemeinde. Dabei wuchs seine
landwirtschaftliche Fläche an; zugleich aber bekamen die Bauern
Land zu freiem Eigentum, und die Gemeinde behielt fruchtbaren Acker
dicht am Dorf. Der Graf gab das Schafhütungsservitut der
bäuerlichen Felder auf und baute Häuser für
Kolonisten58.
3. Schlußbemerkung
Nach seiner Entlassung aus der Armee Friedrichs II. legte Friedrich Wilhelm Carl Graf v. Schmettau in Garzau einen englischen Garten an und unterhielt ihn etwa zwei Dezennien. Das Badehaus lenkte den Sinn auf das unverdorbene Leben der Tahitier wie auf Rousseaus Fiktion vom fortgeschrittenen Naturzustand des Menschen vor der Zivilisation. Auf der Insel inmitten des Kleinen Haussees hielt die Urne das Andenken an die philanthropische Mutter des Grafen wach, dachte v. Reichenbach an tugendhafte römische Kaiser und das Elysium. Das ägyptisierende Kenotaph, möglicherweise eine freimaurerische Allegorie, machte auf die Flüchtigkeit des Lebens aufmerksam, das es, gemäß antiker Überlieferung, auszukosten hieß. Chinoiserien vergegenwärtigten unbeschwerte Lebensverhältnisse im Lande des Konfuzius. Jene stilistisch abwechslungsvollen Partien - geeignet, über römische exempla virtutis hinaus auf Herrscher Tahitis, Alt-Ägyptens und (Alt-)Chinas zu verweisen - dürften Träger gesellschaftlicher Wunschvorstellungen des aufklärerischen Gutsherrn gewesen sein, welche er während bedenklicher ideologischer Veränderungen am preußischen Hof und später vor dem Hintergrund des linksrheinischen Jahrhundertereignisses seinen Parkgästen antrug. Der Garzauer Landschaftsgarten konnte Spaziergänger in eine ideale Feudalwelt entrücken, der v. Schmettau durch Reformen näher zu kommen trachtete.
Anmerkungen
1 Der vorliegende Aufsatz beruht auf der unter Prof. Dr. M. Sperlich verfassten Magisterarbeit des Autors (eingereicht Ende 1997 am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität zu Berlin).
2 Verkleinerte, farbige Reproduktionen des Plans und der neun Ansichten sind enthalten in den Mitteilungen der Pückler Gesellschaft, 7. Heft - Neue Folge - 1991, Berlin. Die Abbildungen 1, 3-6, 8, 9, 12 und 13 des gegenwärtigen Beitrages wurden nach jenen in den Mitteilungen..., S. 51, 47, 39, 41, 49, 35, 33, 45 und 37, hergestellt, die fotografischen Abbildungen 2, 7, 10 und 11 sind vom Verf. (1999/2000).
3 Reichenbach, L.v.: Einige Bemerkungen über die Gärten in der Mark Brandenburg, in: Mitteilungen der Pückler Gesellschaft, 7. Heft - Neue Folge - 1991, Berlin. Vom Gartentheoretiker C.C.L. Hirschfeld war v. Reichenbach um die Beschreibung märkischer Gärten gebeten worden; ihm sind die Bemerkungen... gewidmet.
4 Hartke, W.: Garzau Historisch-kritische Analysen und Darstellungen zur Berliner Aufklärung, Miniaturen zur Geschichte, Kultur und Denkmalpflege Berlins, Nr. 6, hrsg. von der "Interessengemeinschaft für Denkmalpflege, Kultur und Geschichte der Hauptstadt Berlin" im Kulturbund der DDR, Berlin 1982; (und nach Überarbeitung) Hartke, W.: Garzau Historisch-kritische Darstellungen zur Berliner Aufklärung, in: Mitteilungen der Pückler Gesellschaft, 7. Heft - Neue Folge - 1991, Berlin
5 Reichenbach (Anm. 3), S. 13
6 ders., S. 15
7 ders., s. S. 15 f.
8 ders., S. 19
9 vgl. Hartke 1991 (Anm. 4), S. 88, und Heermann, I.: Mythos Tahiti Südsee-Traum und Realität, Berlin 1987, S. 43, und Werner, B. in: Die Gartenkunst, 4. Jahrgang, Heft 2/1992, Worms, S. 292-294, zur Inschrift über der Tür des Garzauer Hauses s. Hartke 1991 (Anm. 4), S. 88-90; ”Durch seine ‚tahitische’ Inschrift wollte (...) wohl der Graf v. Schmettau mit ethnographisch-wissenschaftlicher Prätention an dieser Stelle ausdrücken: ‚Heiliger Platz (mit) Haus’.” (Hartke 1991 (Anm. 4), S. 90)
10 Heermann, I.: Mythos Tahiti Südsee-Traum und Realität, Berlin 1987, s. S. 28
11 Forster, G.: Werke in vier Bänden, hrsg. von G. Steiner, Band I, Reise um die Welt, Frankfurt am Main 1967, S. 598
12 ders., s. S. 330 f.
13 Rousseau, J.-J.: Schriften zur Kulturkritik, Über Kunst und Wissenschaft (1750) Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen (1755), hrsg. von K. Weigand, Hamburg 1978, S. 213
14 Forster (Anm. 11), S. 295
15 “Als erster hatte v. Schmettau die Idee gehabt, die Ewharre rousseauistisch zu einem Bad und 'otahitischen' Haus zu gestalten." (Hartke 1991 (Anm. 4), S. 107)
16 Werner, B. in: Die Gartenkunst, 4. Jahrgang, Heft 2/1992, Worms, S. 294
17 dies., S. 295
18 dies., S. 298
19 dies., s. S. 297
20 dies., s. S. 300
21 Reichenbach (Anm. 3), S. 21
22 “Wer sie kannte, liebte sie, weil sie die Menschen liebte. Friedrich Wilhelm Karl Graf von Schmettau. Berlin den 24 April 1783." (Reichenbach (Anm. 3), S. 22)
23 Der Garzauer Wasserfahrt verwandt, sollte in Schwetzingen ein Nachen den Besucher zu einem ägyptisierenden Gartenbezirk bringen. 1785 notierte Hirschfeld dazu: "Aus der Moschee sieht man gerade nach einer ägyptischen Partie, woran noch gearbeitet wird. (...) Es ist ein Berg, worauf ein Monument des Königs Sesostris neu aufgeführt wird. (...) In den Gewölben des Berges kommen Begräbnisse und Mumien zu stehen, und die Todten soll, wie man sagt, Charon dahin bringen. Um den Berg wird der See Möris gegraben." (Hirschfeld, C.C.L.: Theorie der Gartenkunst, Bd. V, Leipzig 1785, Nachdruck Hildesheim/ New York 1973, S. 344 f.)
24 Hirschfeld, C.C.L.: Theorie der Gartenkunst, Bd. II, Leipzig 1780, Nachdruck Hildesheim/ New York 1973, S. 58 f.
25 ders., Bd. III, Leipzig 1780, Nachdruck Hildesheim/ New York 1973, s. S. 143
26 ebenda, s. S. 146
27 Reichenbach (Anm. 3), S. 23
28 Sueton: Werke in einem Band, Kaiserbiographien Über berühmte Männer, hrsg. von W. Krenkel, Bibliothek der Antike Römische Reihe, Berlin und Weimar 1985, S. 369
29 Friedrich II. von Preußen: Schriften und Briefe, Leipzig 1987, s. S. 363
30 Reichenbach (Anm. 3), S. 24
31 ders., S. 25
32 s. Ausstellungskatalog Die Pyramide Geschichte – Entdeckung – Faszination, Weimar/ Berlin 1999, S. 120
33 Für Hartke geht die Garzauer Pyramide auf die Marae Tahitis zurück (Hartke 1991 (Anm. 4), s. S. 92 f.). G. Forster schildert einen Spaziergang von Mitgliedern der Schiffsbesatzung "zu einer unbebaueten Landspitze, welche sich ins Meer erstreckte. Der Ort war mit wild aufgeschoßnen Pflanzen und Stauden verwachsen; und als sie sich durch dieses Buschwerk hindurch gearbeitet hatten, stand ein pyramidenförmiges Gebäude von Steinen vor ihnen, dessen Basis, vorn, ohngefähr zwanzig Schritte (60 Fus) breit seyn mochte. Das ganze Gebäude war aus mehreren Terrassen oder Stufen übereinander aufgeführt, die aber, besonders gegen die Landseite hin, ziemlich verfallen und schon mit Gras und Buschwerk überwachsen waren. Ihr Begleiter sagte ihnen, es sey eine Grabstelle oder ein heiliger Versammmlungsplatz, Marai, und er nannte es Marai no-Aheatua, den Begräbnißplatz des Aheatua, der jetzt König auf Teiarrabu ist." (Forster (Anm. 11), S. 252) Die Pyramide in Garzau, so Hartke, "versinnbildlichte den Betrachtern sozusagen eine 'marie' des 'ärih' ('König'; Anm. des Verf.) Graf v. Schmettaus und seines Clans" (Hartke 1991 (Anm. 4), S. 95). Die Auffassung, daß die Garzauer Pyramide tahitisch gemeint war, wird auch in C. Tietzes Ausstellungskatalog Die Pyramide Geschichte – Entdeckung – Faszination, Weimar/ Berlin 1999, s. S. 120, vertreten. L.v. Reichenbach konstatierte hingegen die Verwandtschaft des Bauwerkes mit den "alten Egyptischen Pyramiden" (Reichenbach (Anm. 3), S. 24).
34 Lessing, G.E.: Gesammelte Werke in zehn Bänden, hrsg. von P. Rilla, Berlin und Weimar 1968, Bd. V, S. 727
35 zit. nach Topfstedt, T.: Der Landschaftspark Machern, Leipzig 1979, S. 11 f.
36 L.v. Reichenbach gibt die Inschrift wieder: “Menschenliebe ist Glück, und sie durch Wohlthun zu verbreiten ist Glück, und mit Empfindung schmecken ist Dankbarkeit.” (Reichenbach (Anm. 3), S. 25); Hartke 1991 (Anm. 4), s. S. 101
37 Lessing (Anm. 34), Bd. VIII, S. 578
38 ders., Bd. VIII, S. 549
39 Born, I.v. in: Journal für Freymaurer, Originalgetreuer Nachdruck der zwölf Vierteljahreslieferungen des "Journals für Freymaurer" Wien 1784-1787, Bd. II, Teil 1/1 der Reihe Bibliotheca Masonica, 1. Jahrgang 1. Vierteljahr, Graz 1988, s. S. 130
40 Hartmann, G.: Die Ruine im Landschaftsgarten, Worms 1981, S. 214
41 Reichenbach (Anm. 3), S. 26 f.
42 Levie, D. de: Die Menschenliebe im Zeitalter
der Aufklärung, Bern und Frankfurt/ M. 1975,
s. S. 70
43 Born (Anm. 39), S. 130
44 Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, hrsg. von H. Reinalter,
Frankfurt am Main 1983, S. 117
45 Fontane, T.: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Teil III Havelland, Berlin und Weimar 1977, s. S. 351
46 Schulze, B.: Der Urheber der Schmettauschen Karte von Preußen, Sonderdruck aus den Mitteilungen des Reichsamtes für Landesaufnahme, Berlin, Jahrgang 1933/34, Heft 4, S. 281
47 Vehse, C.E.: Die Höfe zu Preussen, hrsg. von W. Schneider, Leipzig 1993, Bd. 3, S. 14
48 Schulze (Anm. 46), s. S. 281
49 Schmettow, M.G. Graf v.: Schmettau und Schmettow Geschichte eines Geschlechts aus Schlesien, Büderich bei Düsseldorf 1961, s. S. 189
50 Goethe, J.W.: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Münchner Ausgabe, hrsg. von K. Richter in Zusammenarbeit mit H.G. Göpfert, N. Miller und G. Sander, Bd. 14 Autobiographische Schriften der frühen Zwanzigerjahre, hrsg. von R. Wild, München/ Wien 1986, S. 510
51 "Ich habe Spuren, um nicht zu sagen Nachrichten, von einer großen Masse Lügen, die im Finstern schleicht, von der du noch keine Ahnung zu haben scheinst. Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Kloaken minieret, wie eine große Stadt zu sein pflegt, an deren Zusammenhang, und ihrer Bewohnenden Verhältnisse wohl niemand denkt und sinnt; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aus einer Schlucht aufsteigt, und hier wunderbare Stimmen gehört werden. Glaube mir, das Unterirdische geht so natürlich zu als das Überirdische, und wer bei Tage und unter freiem Himmel nicht Geister bannt, ruft sie um Mitternacht in keinem Gewölbe." Goethe (Anm. 50), Bd. 4.1 Wirkungen der Französischen Revolution 1791-1797 1, hrsg. von R. Wild, München/ Wien 1988, S. 948
52 Syndram, D.: Ägypten-Faszinationen Untersuchungen zum Ägyptenbild im europäischen Klassizismus bis 1800, Frankfurt a.M./ Bern/ New York/ Paris 1990, s. S. 49 f.
53 Born (Anm. 39), S. 33
54 L.v. Reichenbach verschwieg wahrscheinlich aufgrund seiner Kenntnis der Antipathie Hirschfelds gegen die Chinabegeisterung die chinoisen Partien in Garzau (s. Anm. 3). 1777 unternahm Hirschfeld die Widerlegung des herrschenden Begriffs von den chinesischen Gärten. In der Theorie der Gartenkunst spart der Kieler Philosophieprofessor nicht mit Kritik an Chambers: Nachdem er dessen Auffassungen vorgestellt hat, bringt er "Gründe gegen die Wirklichkeit der chinesischen Gärten, wie sie Chambers beschreibt" (Hirschfeld, C.C.L.: Theorie der Gartenkunst, Bd. I, Leipzig 1779, Nachdruck Hildesheim/ New York 1973, S. 94). L.v. Reichenbach selbst stand dem Briten distanziert gegenüber (s. Reichenbach, L.v.: Der schöne Garten (1788) in: Mitteilungen der Pückler Gesellschaft, 12. Heft - Neue Folge - 1997, Berlin, S. 49). Hartke 1991 (Anm. 4) geht auf die Garzauer Chinoiserien nicht ein.
55 s. dazu Vogel, G.-H.: Konfuzianismus und chinoise Architekturen im Zeitalter der Aufklärung, in: Die Gartenkunst, 8. Jahrgang, Heft 2/1996, Worms, S. 188-212
56 Wolff, C.: Oratio de Sinarum philosophica
practica, lat.-dt., übers., eingel. und hrsg. von
M. Albrecht, Hamburg 1985, s. S. XVIII
57 Reichwein, A.: China und Europa Geistige und künstlerische Beziehungen im 18. Jahrhundert, Berlin 1923, s. S. 115
58 zu den Reformen v. Schmettaus s. Hartke 1991 (Anm. 4), S. 109 f.